1919 – 2019: Vor 100 Jahren wurde das Bauhaus in Weimar gegründet.
Das Bauhaus hat Geschichte geschrieben: Zeitlose und immer noch begehrte Klassiker entworfen. So träume ich davon, meinen Tee aus einer Teekanne von Marianne Brandt zu trinken, zu Hause auf einem Original-Freischwinger von Marcel Breuer zu sitzen und die Kinder der Neffen mit dem kleinen Schiffbauspiel von Alma Siedhoff-Buscher zu überraschen, in den Farben rot, blau, gelb. Viele Entwürfe von damals sind Designklassiker geworden – auch, weil technische Innovationen wie die industrielle Serienproduktion sich durchgesetzt haben.
Dazu möchte ich ein Buch vorstellen, dass sich mit dem künstlerischen Werdegang von 45 Frauen von insgesamt 462 am Bauhaus beschäftigt. Leider kommt Marianne Brandt in diesem sehr kenntnisreichen, schön gestalteten Sachbuch nicht vor.
Elisabeth Otto & Patrick Rössler: Frauen am Bauhaus. Wegweisende Künstlerinnen der Moderne. Knesebeck-Verlag, 35 €
Rückblende:
1918 Nach vier Jahren Krieg, Abdankung des Kaisers, Novemberrevolution und zweifacher Ausrufung der Republik herrscht im darauffolgenden Jahr Aufbruchsstimmung: Frauen erhalten das Wahlrecht und dürfen endlich frei entscheiden, was und wo sie studieren möchten. Mit anderen Worten, die Zeit war reif für Veränderungen. Jugendstil war gestern, das Korsett auch. Und in dieser Aufbruchsstimmung erscheint das Manifest von Walter Gropius, Architekt und Gründer des Bauhauses in Weimar.„Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte!“
Weimar wird unter Schülern und Studenten zum Synonym für die Moderne! Im fernen Pommern hört Erna Niemeyer im Kunstunterricht zum ersten Mal von Walter Gropius, liest sein Manifest und ist begeistert: „Da war eine Idee, mehr noch ein Ideal“. Auf nach Weimar! Sie belegt bei dem charismatischen Johannes Itten (der das Bauhaus bereits 1923 wieder verließ) den obligatorischen Vorkurs: „Bei Itten geschah etwas, was uns befreite. Wir lernten nicht malen, sondern lernten neu sehen, neu denken, und zugleich lernten wir uns selber kennen.“
Erna Niemeyer ist Ré Soupault, die spätere berühmte Fotografin, Filmemacherin und Modedesignerin. Kaum einer weiß, dass sie 1930 in Paris das Transformationskleid entworfen hatte: Kaufe ein Kleid und verwandele es in zehn Outfits. Ideal für die berufstätige Frau.
Ré Soupault gehört zur ersten Generation der Bauhäuslerinnen wie auch Gunta Stölzl. Die einzige Frau des Bauhauses, die zur Meisterin aufsteigt. Stölzl studiert bereits in München Glasmalerei und Keramik an der Kunstgewerbeschule, doch ihre Heimatstadt erscheint ihr zu spießig. Auch für sie ist Weimar ein Versprechen, ein Neuanfang. 1919 nimmt sie ihr Studium auf. Schließlich ist ein weiterer Grundsatz von Walter Gropius: „Als Lehrling aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, deren Begabung und Vorbildung vom Meisterrat als ausreichend erachtet wird.“
Doch trotz dieses Bekenntnisses sieht die Praxis am Bauhaus von Weimar und auch an den späteren Standorten Dessau und Berlin anders aus: In der Töpferei sind Frauen ebenso unerwünscht wie in der Druckerei. Die Bauhaus-Männer fürchten um das Ansehen der Kunstschule, wenn zu viele Studentinnen in alle Bereiche vordringen. Moderne Kunst bedeutet keineswegs eine moderne, fortschrittliche Haltung. Der Künstler Oskar Schlemmer spottet nach einem Besuch bei seinem Bruder Carl in Dessau: „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib“.
Doch ausgerechnet die „Frauenklasse“ der Weberei wird mit ihrem innovativen Stil, mit ihrer Formsprache und textiler Experimentierlust zum Aushängeschild des Bauhauses. Ein Verdienst von Gunta Stölzl. Schon in ihrem ersten Jahr hält sie begeistert in ihrem Tagebuch fest: „…nichts Hemmendes ist an meinem äußeren Leben, ich kann’s mir gestalten wie ich will.“ Weben ist ihre große Leidenschaft und sie hat einen Sinn für Technik. 1926 wird Gunta Stölzl Werkmeisterin, später die technische und künstlerische Leiterin der Webwerkstatt am Bauhaus. Sie webt Stoffbespannungen für Marcel Breuer Stühle, entwirft Teppiche mit klaren, farbenfrohen geometrischen Mustern und entwickelt neue Webtechniken. Doch es gibt Konkurrenz, Neid, Mobbing auch unter den Bauhäuslern. Mit dem wachsenden Einfluss der NSDAP erlebt Stölzl wie die Stimmung am Bauhaus sich spürbar verschlechtert, ihr jüdischer Ehemann verliert seine Arbeit, die Wohnungstür mit einem Hakenkreuz beschmiert, der „rote“ Direktor Hannes Meyer entlassen. Das sind ausreichende Gründe für Gunta Stölzl das Bauhaus 1931 zu verlassen.
Ihre Nachfolgerin wird die aus Kroatien stammende Weberin und Textildesignerin Otti Berger. Ihre Lehrer waren die Künstler Paul Klee, Wassily Kandinsky und László Moholy-Nagy. Das interdisziplinäre Arbeiten ist ein Novum: Form, Farbe, Musik – alles fließt in das Studium ein, prägt das Design von Otti Berger. „Das Begreifen eines Stoffes mit den Händen kann ebenso schön empfunden werden wie eine Farbe vom Auge oder ein Klang im Ohr“.
Als das Bauhaus in Dessau auf Druck der NSDAP 1932 geschlossen wird, macht sich Otti Berger in Berlin selbständig. Sie ist jüdischer Herkunft, der wachsende Antisemitismus lässt sie neue Kontakte nach England knüpfen, doch wegen ihrer kranken Mutter kehrt sie nach Kroatien zurück. Nach Kriegsausbruch kann Otti Berger das Land nicht mehr verlassen. Sie wird im April 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Ebenso Friedl Dicker. Auch sie ist eine Bauhäuslerin der ersten Stunde. Studiert am Bauhaus Weberei, Druck, Architektur und Innenarchitektur. Sie ist vielseitig tätig: als erste Bauhaus-Studentin entwirft sie ein Flachdachgebäude und futuristische Skulpturen. Ihre Collagen kritisieren die Armut unter den Arbeitern, den rücksichtslosen Kapitalismus und den aufkommenden Faschismus. Mit ihrem Mann Pavel Brandeis geht sie nach Prag, engagiert sich im antifaschistischen Widerstand und wird verhaftet, 1942 nach Theresienstadt deportiert. Sie nimmt ihre Zeichenutensilien mit. Ein Ort, an dem kein Schulunterricht stattfand, doch Friedl Dicker unterrichtet die Kinder, lehrt sie zu schauen, zu zeichnen auf Papierresten, auf Packpapier. Eines der Kinder, das Theresienstadt überlebt, schreibt später: „Es gab nur einen großen Tisch mit Zeichenutensilien, und auch das Papier war nicht von guter Qualität, … () Aber in diesen Momenten fühlte ich mich als freier Mensch.“
Als Pavel Brandeis nach Auschwitz deportiert wird, besteht Friedl Dicker darauf, ihm zu folgen. Sie versteckt kurz vor der Abfahrt – in Koffern verpackt – mehr als fünftausend Kinderzeichnungen. Von ihr selbst existiert dieses Aquarell.

auf Papier, entstanden im Konzentrationsla-
ger Theresienstadt.
© Beit Terezin Museum, Kibbutz, Givat Haim
Ichud
Am 9. Oktober 1944 stirbt sie in den Gaskammern von Auschwitz, ihr Mann überlebt das Konzentrationslager.
Jahrzehnte später besuche ich das ehemalige Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt und sehe zum ersten Mal die Kinderzeichnungen, nichtsahnend, wer diese Kinder unterrichtet hat und zu welchem Preis.