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AISHE ON THE ARTS

Der Berlin Blog von Aishe Malekshahi

Wow Wooster! Wooster Wow?

Wow Wooster! Wooster Wow?

Oder: Alte Liebe rostet doch.

Ein Gastbeitrag von Petra Castell.

Meine Wiederbegegnung mit  der New Yorker Avantgarde-Company „The Wooster Group“ beim FIND-Festival der Berliner Schaubühne

Verdammt lange her, mehr als zwei Jahrzehnte: Pressekonferenz mit einem Hollywood-Star und weit und breit keine Paparazzi, keine kreischenden Fans mit Autogrammbuch und Selfie-Stick. Kein roter Teppich. Nur ein paar Berliner Theater-Kritiker und -Redakteure. Eine Begegnung mit den New Yorker Theater-Avantgardisten „The Wooster Group“, die 1991 mit ihrer Drei-Schwestern-Adaption begeistert hatten und nun, im Juni 1997,  neuerlich nach Berlin gekommen waren, um im Theater am Halleschen Ufer (einstmals Heimstatt der Schaubühne)  Eugene O’Neills „Der Haarige Affe“ zu präsentieren, mit eben einem Hollywood-Star in der Hauptrolle: Willem Dafoe.

Nicht mal eine Armlänge entfernt saß er vor mir, auf einem kargen Holzstuhl, wie alle anderen auch. Erstaunlich schmächtig, fast zerbrechlich, und sehr schüchtern, nahezu stumm. Unauffällig. Das Wort führten andere, Kate Valk, die Schauspielerin. Vor allem aber Elisabeth LeComte, Wooster-Gründerin, -Regisseurin und Mastermind der Company aus Manhattan. Außerdem Ehefrau von Willem Dafoe.  Aber dann, in der Aufführung, zog er als Heizer Yank,  den es aus dem Maschinenraum eines Ozeandampfers aufs Oberdeck zu den herrschaftlichen Passagieren verschlägt, alle Register einer entfesselten Performance-Kunst. Wow.

Ich schrieb damals:

Er trägt die zurück gekämmten, golden leuchtenden Haare wie einen Helm, die lange Schürze wie einen Panzer. Er rollt die Augen, fletscht die Zähne, schwankt auf breiten Beinen. Willem Dafoe spielt Yank, den Heizer als Kreuzung zwischen schwarzem Ritter und affenähnlicher Kreatur. Triebhaft noch und doch schon stolz sich seiner selbst bewußt.

Ja, verdammt lange her und unvergessen. Ein, zwei Mal waren sie danach nochmal in Berlin, die „Wooster“s (benannt nach der Straße in SoHo, zwischen Broadway und Times Square, wo ihre bescheidene Spielstätte, die Performing Garage liegt). Dann jahrelang nicht mehr. Bis jetzt. Bis die Schaubühne am Lehniner Platz die Truppe für ihr diesjähriges Festival Internationale Dramatik FIND eingekauft hat. Denn: auch für Thomas Ostermeier, damals noch der junge Wilde an der DT-Baracke, mittlerweile etablierter Regie-Grande und  künstlerischer Leiter der Schaubühne, waren die Arbeiten der Wooster-Group, wie er selber sagt,  ein Markstein seiner Entwicklung.

Willem Dafoe ist schon lange nicht mehr dabei, seit die private und infolgedessen auch künstlerische Partnerschaft mit Elisabeth LeComte in die Binsen ging. Aber auch ohne die Quer-Finanzierung mit seinen Hollywood-Gagen hat sich die Truppe am Leben halten können.  Und auch ohne seinen schauspielerischen Input.

Beim FIND#19 (Motto: „Archäologie der Gegenwart“) zeigte The Wooster Group eine Inszenierung von 2017. „The Town Hall Affair“ – eine Art Reenactement einer legendären Redeschlacht zwischen dem provokations-verliebten Schriftsteller und Männlichkeits-Beschwörer Norman Mailer und einigen damals prominenten Feministinnen wie Germaine Greer („Der weibliche Eunuch“),  die sich vor den rampenlicht-verwöhnten Star-Autor  ins Zentrum medialer Aufmerksamkeit gedrängt hatten. Der „Dialog über die Frauenbefreiung“ fand am 30. April 1971 in New York statt. An einem Ort, der sich Theatre for Ideas nannte. Der Saal war brechend voll und man darf vermuten, dass so ziemlich die gesamte Intelligenzija der Stadt anwesend war.

Den stundenlangen Kampf um die Meinungsmacht im intellektuellen Diskurs begleiteten – auf Mailers Wunsch – die Dokumentarfilmer  Chris Hegedus und D.A. Pennebaker mit ihren Kameras. Ausschnitte aus ihrem Film „Town Bloody Hall“, außerdem Szenen aus einem Spielfilm von und mit Norman Mailer über einen Mann, der US-Präsident werden will, flimmern über Bildschirme die hinter dem an der Rampe nachgestellten  Diskussions-Panel hängen. Die Schauspieler sprechen die Redebeiträge und Vorträge nach, manchmal fast synchron. Interessanterweise braucht es für den Berserker Norman Mailer sogar zwei Darsteller, die sich irgendwann auch mal im Zweikampf  auf dem Boden wälzen. Kate Valk verkörpert Jill Johnston, eine radikale Aktivistin der Lesben-Bewegung jener Zeit („Lesbian Nation“), die sich vorgenommen hatte, die Show zu sprengen, unter anderem mit lesbischen Knutsch-Ins.

Aber ach, und das ist dann eben meine Enttäuschung als alte Wooster-Liebende, man musste das alles wissen: wer da was war, wer wofür stand, wer was veröffentlicht hatte und wer auf wen mit welchen Manifesten, Artikeln und Büchern reagiert hat. Und diese Manifeste, Artikel und Bücher hätte man auch besser kennen sollen. Ebenso den Film von Hegedus/Pennebaker, um er-kennen zu können, was die Wooster-Group in ihrem  einstündigen Einakter daraus destilliert hat. Und man musste leider auch die Diskurs-Sprache im Original beherrschen. Zwar gab es Übertitelungen rechts und links über dem Bühnengeschehen, aber mein Gott, wer kann dieses Theorie-lastige Zeugs so schnell mitlesen. Und trotzdem nicht aus den Augen verlieren, was unten passiert.  Also ich, sorry, ich vermochte das alles leider nicht.

Interessant ist allerdings schon, wie freudianisch und sexualisiert die Diskussion damals war.  Fragen der politischen und sozialen Teilhabe kamen kaum vor. Und wie ausschließlich fokussiert auf  Frauen und Männer. Auch in dieser Hinsicht hat sich das Spektrum heutiger Gender-Debatten doch erheblich erweitert.

Doch nochmal zurück zur Wooster Group: lange vor allen anderen, lange vor dem Siegeszug der Post-Dramatik an den deutschen Theatern,  arbeitete sie bereits dekonstruktiv, mit zersplitterter Dramaturgie, freiem Umgang mit dem dramatischen Material, Grenzüberschreitungen zur Bildenden Kunst, mit Videoeinspielungen, Mikroports und Soundeffekten. Sie pfiffen auf Dogmen und Konventionen und eröffneten so der Bühnenkunst vollkommen neue Möglichkeiten.

Inzwischen sind diese Mittel und Grenzüberschreitungen zum theater-praktischen Allgemeingut geworden, die Avantgarde zum Mainstream. Vielleicht  sprüht deshalb us dem Wooster-Vulkan kein Feuer mehr.  Ich bin dieses Mal jedenfalls nicht entflammt. No Wow.

0www.thewoostergroup.org/blog/

https://phfilms.com/films/town-bloody-hall/

 

2 comments

  1. Peer Hartwig says:

    sehr schön geschriebener Kommentar zu Wooster damals und heute….

    1. Aishe Malekshahi says:

      Vielen Dank für den Kommentar, leite ich Petra gerne weiter!!! Sorry, dass ich jetzt erst antworte, neben dem Blog gibt es noch ein anderes Berufsleben und ich bin erst heute wieder auf meiner Seite. Heute kommt ein weiterer Theater-Gastbeitrag auf AISHE ON THE ARTS.

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