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AISHE ON THE ARTS

Der Berlin Blog von Aishe Malekshahi

Theatertreffen 2019

Theatertreffen 2019

Persona mit Corinna Harfouch © Arno Declair

Alte Meister im Zeitgeist-Flow

„Hotel Strindberg“ von Simon Stone eröffnete das Theatertreffen 2019

Von Petra Castell

„Ihr denkt, Ihr seid cool. Dabei seid Ihr einfach nur jung“.

Das soll von August Strindberg sein? Natürlich nicht. Das ist O-Ton Simon Stone.

Simon Stone | Burgtheater Wien / Theater Basel
© Sandra Then

Der 35-jährige  Regie-Star des deutschsprachigen Theaters, geboren in Basel, aber aufgewachsen in Australien, ist so berühmt wie berüchtigt für seine Aneignungen klassischer Stücke und Stoffe von den Griechen der Antike bis zu den Klassikern der Moderne wie Anton Tschechow und jetzt eben August Strindberg.

Vom alten Schweden ist da aber nicht viel mehr übrig geblieben als Motive, Figuren, Konstellationen aus diversen Stücken, aber auch Prosatexten und Selbstzeugnissen: Szenen seiner eigenen mißratenen Ehen. Eine Art UPDATE also. Strindberg RELOADED. Überschreibungen nennt man gerne diese Technik, Stone selbst nennt es Übermalungen.  Ich würde sagen: Übertextungen.

Die Personage in den kaleidoskopisch rotierenden Szenen (eine Handlung im eigentlichen Sinne gibt es nicht),  also diese ver-stonten Strindberger bewegen sich im Flow von heute. Sie gucken „Game Of Thrones“ und „Germany‘s Next Top Models“. Sie Googeln, SMSen, Facetimen, und Tindern – Tindern ist  besonders  wichtig, denn Sex ist die Währung, mit der an dieser Beziehungs-Börse gehandelt wird.

Sie küssen und sie schlagen sich. Sie lieben sich nicht mehr und betrügen sich trotzdem. Verdorbene Ehen, vergiftete Beziehungen, dysfunktionale Familien. Ein ständiger Kampf um Herrschaft, Macht und Besitz. Bis zu Vergewaltigung und Mord.

Hotel Strindberg
© Sandra Then

Wir, die Zuschauer beobachten diese Verzweifelten, Verlorenen, Verrückten, diese Egomanen, Soziopathen und Zwangs-Neurotiker aus quasi voyeuristischer Perspektive durch die gläserne Fassade dieses drei-stöckigen, bühnenraumfüllenden „Hotel Strindberg“, durch die bodentiefen Fenster der Zimmer und Suiten, des Treppenhauses und der Lobby, dem Frühstücksraum. Wir beobachten sie  gleichsam wie Tiere im Zoo oder besser noch: wie in einem Versuchslabor. Auch wenn die Mikroports manchmal quietschen: die Tontechniker leisten viel an diesem Abend.

Man wähnt sich von Anfang an mehr in einer geschlossenen Psychiatrie als in einem Hotel. Und dazu verwandelt sich das Haus dann auch am Ende mit zwei wahnsinnigen Männern, wahnsinnnig  geworden am Leben und an sich selbst.  Auch der Herr Strindberg hatte bekanntlich so seine psychischen Krisen.

4 Stunden, drei Akte, zwei Pausen.  Und jede Menge Zeitgeist. Ein Parforceritt, eine rasante Szenen-Schnipsel-Jagd. Streckenweise brüllend komisch. Selten so gelacht bei Strindberg.  Die Mechanik des Ensemble-Spiels läuft wie geschmiert (eigentlich müßte man dem Backstage-Personal mal Preise verleihen).

Zwei Darsteller ragen dann aber doch heraus, als abgehalftertes Paar, er Autor, sie Schauspielerin – ganz wie im richtigen Leben des August Strindberg, der drei Mal verheiratet war, zweimal  mit Schauspielerinnen. Martin Wuttke gibt seinem Affen viel, sehr viel  Zucker. Caroline Peters (sie spielt noch weitere Rollen) wurde  mit ihrer fulminanten Performance in diesem Stück bei der Kritiker-Umfrage von „Theater Heute“ Schauspielerin des Jahres 2018.

Hotel Strindberg
© Sandra Then

Aber, ganz ehrlich: ich habe mich dann doch immer wieder nach Strindberg im Original gesehnt. Simon Stone ist ein meisterlicher  Regie-Handwerker, er beherrscht den Hipster-Sprech der social-media-Welt perfekt. Aber: ein Dichter? Nein, ein Dichter ist er nicht.

 Frau. Macht. Theater.

 „Die Frauenfrage ist keine Quotenfrage“  hat Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele in seiner Eröffnungsrede gesagt. Aber Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer hat sich ausgedacht und verfügt, daß  2020 und 2021 mindestens  50 Prozent der ausgewählten Inszenierungen von Regisseurinnen sein müssen (Anm.: muß es nicht gender- korrekt jetzt Regieführende heißen?).

Die Kritiker-Jury ist schon gut quotiert: vier Männer, drei Frauen. Sie hätte doch eigentlich,  ohne programmatisch auf die Pauke zu hauen, schon mal in diesem Jahr mehr Inszenierungen von Frauen auswählen können. Tatsächlich sind es aber nur drei von zehn, wenn man das überwiegend aus Frauen bestehende Freie-Szene-Kollektiv She She Pop dazu rechnet.  Die beiden anderen „weiblichen“ Regie-Arbeiten sind von Anna Bergmann und Claudia Bauer

Bisher kann die Kritiker-Jury  in schier unendlicher Freiheit auswählen unter den Produktionen der deutschsprachigen Theater im jeweils vorigen Jahr. Einziges Kriterium: bemerkenswert. Ein herrlicher Gummi-Begriff, der sich in  Jahrzehnten bewährt hat. Nun werden Quoten-Fesseln angelegt. Die Jury ist nicht mehr frei in ihren Entscheidungen.  Und wenn die entsprechend „bemerkenswerten“ Inszenierungen an den Häusern nicht entstehen? Woraus dann schöpfen? Ein Versuch soll es sein. Was, wenn er scheitert? Sind dann wieder die Frauen zu doof?

Das Pferd wird also von hinten aufgezäumt.

Aber gut: es soll als Signal, als Herausforderung an die Theaterbetriebe wirken. Und denen gehört ja nun auch wirklich Feuer unterm Hintern gemacht. Gerieren sie sich doch gerne aufklärerisch, als Hort des gesellschaftlichen Fortschritts,  sind aber tatsächlich hochgradig hierarchische Betriebe und Bastionen des Patriarchats und des Machismus.  Intendanten, Direktoren, Regisseure, seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten, und heute eben auch immer noch: mehrheitlich Männer. Hier und da ist schon was in Bewegung gekommen, in Karlsruhe haben sie in dieser Spielzeit sogar eine 100-prozentige Frauenquote hingekriegt.  Aber nach oben ist noch viel Luft. Und dabei geht es nicht nur um die Besetzung der Regie-Stühle. Gleiche Gage für gleiche Arbeit bei den Schauspielern und Schauspielerinnen (oder: Schauspielenden?). Familienfreundliche Arbeitszeiten. Überhaupt: Geschlechtergerechtigkeit und Diversität – das sind auch die Themen der in diesem Jahr schon zum zweiten Mal beim Theatertreffen veranstalteten Konferenz „Burning Issues meets Theatertreffen“.  Ach ja, ohne Denglisch geht gar nix mehr.

Ausblick: wer oder was kommt da noch?

Die Frage muß erstmal lauten: wer oder was kommt nicht?

Ersan Mondtags am Schauspiel Dortmund realisiertes Projekt „Das Internat“ wurde fürs Theatertreffen ausgewählt. Kann aber nicht gezeigt werden. Wegen technischer und dispositioneller Probleme. Huch, was soll das denn heißen? Auf jeden Fall:  mächtig Krach im Karton. Jeder schiebt’s einem anderen in die Schuhe. Schon bei Probenbeginn flogen – wie man hört – in Dortmund die Fetzen und die PET-Flaschen auf die Bühne. Dann wurde das Stück ziemlich schnell wieder abgesetzt, angeblich wegen mangelnden Publikumszuspruchs, und die Kulissen eingemottet.  Jetzt die vielen Kisten wieder auszupacken und alles in Berlin neu aufzubauen, hätte angeblich mindesten fünf Tage gedauert. Kein Berliner Haus konnte / wollte das anbieten.  Zu aufwendig, zu teuer.

Ersan Mondtag beklagte im TAGESSPIEGEL-Interview, daß man sein Bühnenbild nicht einfach neu gebaut hat, das wäre seiner Rechnung nach für 50 – 60 000 Euro zu machen gewesen. Zur Erinnerung: Im letzten Jahr hatte man den Wiederaufbau von Castorfs „Faust“  im Festspiele-Haus  mit einer halben Million Euro unterstützt.  Der beleidigte  Frank hatte es abgelehnt, in der dazumal noch von seinem Intendanten-Nachfolger Chris Dercon okkupierten Volksbühne aufzulaufen.

Wie auch immer: der Ausfall von Mondtags Inszenierung ist ein Ärgernis, zumal schon im vergangenen und vor-vergangenen Jahr  Gastspiele ausgewählter Inszenierungen nicht realisiert wurden. Was früher die Ausnahme war, scheint zur Regel zu werden.

Immerhin wurde Ersan Mondtag für „Das Internat“ mit dem 3SAT-Preis ausgezeichnet. 10 000 Euro sollten ein gar nicht so kleines Trostpflaster sein.

Also jetzt aber: Was kommt noch?

Mein persönliches Highlight ist „Unendlicher Spaß“ von Thorsten Lensing nach dem 1500-seitigen Monster-Roman von David Forster Wallace.

Ein fast kahler Bühnenraum und  einfach nur sechs  grandiose Akteure, darunter Schauspieler, die schon lange und immer wieder mit Thorsten Lensing zusammen arbeiten: Ursina Lardi, Devid Striesow, André Jung, Sebastian Blomberg. Dazu dieses Mal Jasna Fritzi Bauer und Heiko Pinkowski. Ein – im Wortsinn – tolles Ensemble. Ein Hochamt der Schauspielkunst. Thorsten Lensing ist seine eigene Liga. Eine Ausnahmeerscheinung. Werktreue ist für ihn kein Problem. Und doch entfaltet er bei immer eine eigene, eigensinnige Handschrift. Er läßt sich oft viel Zeit, um seine Inszenierungen zu entwickeln. Aber wenn er dann ruft, kommen sie alle und machen mit. Die Crème de la Crème. Und nun, spät, aber doch, hat ihn endlich auch das Theatertreffen zur Kenntnis genommen.

Aber auch danach kann man den „Unendlichen Spaß“  noch erleben: im Repertoire der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Was noch?

Dionysos Stadt
© Julian Baumann

Bemerkenswert  allein der schieren Länge wegen: der 10-stündige  Antiken-Marathon „Dionysos Stadt“ von  den Münchner Kammerspielen, Regie: Christopher Rüping.  Um des Dionysischen willen soll es viele Pausen mit Verköstigungen geben. Das Publikum darf sogar die Bühne entern.

Hoch gehandelt, um nicht zu sagen ge-hypt: „Tartüffe oder das Schwein der Weisen“, eine der drei Inszenierungen von Frauen, in diesem Fall eine Arbeit von Claudia Bauer für das Theater Basel.

Nach Molière, geschrieben vom Kölner Indie-Pop-Musiker und Autor Peter Licht.   Ich kann da – noch ohne eigene Anschauung – nur aus Ankündigungen und Kritiken  zitieren:  „Tüffi“ ist ein Sex-Guru und not-geiles, grunzendes Schwein“. Und es wird „über die Penis-Geneigtheit des Kapitals“ philosophiert.  Na, erst mal gucken, dann mal sehen.

Von Anna Bergmann, neuerdings Schauspiel-Direktorin des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, die die laufende Spielzeit dort ausschließlich mit Regie-Arbeiten von Frauen gestaltet hat, wird beim Theatertreffen „Persona“ gezeigt, nach dem Film von Ingmar Bergmann (meines Wissen nicht verwandt oder verschwägert), eine Koproduktion des deutschen Theaters in Berlin mit dem Theater in Malmö. Corinna Harfouch und die Schwedin Karin Lithman tauschen an den jeweiligen Spielstätten ie Rollen.

Das Performance-Kollektiv She She Pop, das beim Theatertreffen mit „Oratorium“ das brennend aktuelle Thema Geld, Eigentum und Deutsches Wohnen verarbeitet, inklusive Laien-Chor aus dem Publikum, erhält  in diesem Jahr den Theaterpreis der Stiftung Preußische Seehandlung.

Theater ohne Dichter

Das Theaterstück als klassische literarische Form wird vernachlässigt.  Es dominieren die Adaptionen, oder wie es neu-modisch heißt: Überschreibungen. Die Regisseure (Regieführende ?) – schreiben sich lieber ihre Texte oder Textfassungen selbst, als sich am Original der Dichter abzuarbeiten.  Sie bedienen sich der dramatischen Literatur nur noch als Material. Oder greifen gleich zu Romanen und Kinofilmen. Seit über 20 Jahren wird darüber nun schon gestritten. Auch anläßlich der diesjährigen Theatertreffen-Auswahl ist das ein Aufreger-Thema.

Nun: Einerseits sind Adaptionen durchaus legitim und haben schon zu hervorragenden Ergebnissen geführt, siehe aktuell „Unendlicher Spaß“ nach David Forster Wallace. Andererseits sagte schon Bert Brecht: „Ich denke, wir können den Shakespeare ändern, wenn wir ihn ändern können.“

Und weil das nicht bei allen schreib-ambitionierten  Regieführenden beiderlei (oder:  allerlei) Geschlechts der Fall ist, daß sie das wirklich können,  ist es auch eine Verarmung. Es müssen ja nicht immer die alten toten Meister sein. Es gibt ja auch noch lebendige Dichter und Dichterinnen, die für das Theater schreiben. Früher wurden die Autoren selbstverständlich ins Theater integriert.  Es gab so legendäre wie  kongeniale Paarungen von Regisseuren und Dichtern: Peter Stein – Botho Strauß,  Claus Peymann – Thomas Bernhardt. Wo gibt’s das heute noch? Vielleicht sollten die Autoren, die sich vom Do-It-Yourself-Regie-Theater noch nicht abgewandt haben zu einer #MeToo-Bewegung zusammentun.  Und, vielleicht, wer weiß,  kriegen sie dann eines Tages auch mal eine Quote.

Das Programm des Theatertreffens 2019 gibt es hier:

https://www.berlinerfestspiele.de/de/theatertreffen/programm/programm-2019/programm-2019-gesamt/programm-gesamt.html

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