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AISHE ON THE ARTS

Der Berlin Blog von Aishe Malekshahi

Of Fathers and Sons – Kinder des Kalifats

Of Fathers and Sons – Kinder des Kalifats

Bewegend, verstörend und von großer Relevanz

Der preisgekrönte Dokumentarfilm „Of Fathers and Sons – Kinder des Kalifats“ startet am Donnerstag in den Kinos.

„Of Fathers and Sons“ ist eine Reise ins „Herz der Finsternis“. Nur dass diese Reise nicht Ende des 19. Jahrhunderts stattfindet, sondern im 21. Jahrhundert. Diese Reise führt auch nicht in den Kongo, sondern nach Syrien, in den von Salafisten dominierten Nordwesten des Landes. Diese Männer leben nach den Gesetzen der Scharia und führen Krieg: bekämpfen das Assad-Regime, die Opposition, töten ihre eigenen Landsleute. Sie agieren gnadenlos im Auftrag Allahs.

Der syrische Regisseur Talal Derki eröffnet seinen Dokumentarfilm mit den Worten: „When I was a child, my father taught me to write down my nightmares, to keep them from returning.“

Jetzt dokumentiert die Kamera von Kahtan Hasson den syrischen Albtraum, in starken, eindringlichen Bildern. Regisseur und Kameramann mussten zunächst das Vertrauen von Abu Osama gewinnen, einem hochrangigen Al-Nusra Kämpfer. Das gelingt ihnen nur, weil sie behaupten, sie seien gläubige Muslime und würden mit den Salafisten sympathisieren. Über zwei Jahre halten sie diese Lüge aufrecht, gewinnen einen Einblick in den dramatischen Alltag im Nordwesten Syriens: Gewalt, Terror, der vor nichts und niemandem Halt macht. So werden sie Zeugen, wie Abu Osama in den Kampf zieht, gezielt einen Motorradfahrer erschießt und sich dabei beschwert, dass der Abzug seines Gewehrs klemmt.

Derki und Hasson sind auch dabei, wenn Abu Osama auf den staubigen Straßen Landminen räumt. Sie begleiten ihn zu Treffen mit weiteren Kämpfern, beobachten den Umgang mit gefangenen Landsleuten.  Abu Osamas Brigade lässt sie im Hof antreten. Sie hocken in einer Reihe, müssen sich vor laufender Kamera rechtfertigen, warum sie sich auf die Seite der Gegner geschlagen haben. Schonungslos zoomt die Kamera auf die Gesichter der Gefangenen: Männer, deren Angst, jetzt erschossen zu werden, einem schmerzhaft nahe geht.

„Of Fathers and Sons“ ist trotz dieser eindringlichen Bilder, kein Kriegsfilm im herkömmlichen Sinn und kein Film nur über Salafisten. Talal Derki’s Dokumentarfilm eröffnet uns einen Blick in den Alltag, in das Privatleben eines Kämpfers, in das Weltbild eines religiösen Fanatikers. Der Rebellenführer Abu Osama lädt Talal Derki und den Kameramann in sein Haus ein. Sie erleben einen liebevollen Vater im Umgang mit seinen Söhnen.

Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten – in den Jahren 2014 bis 2016 – hat Abu Osama insgesamt acht Kinder, doch nur die sechs Söhne dürfen gefilmt werden. Ehefrau und Töchter sind Tabu, sie bleiben unsichtbar.

Für neunzig Minuten muss jeder Zuschauer ertragen, dass westliche Werte hier nicht zählen: natürlich nicht „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und schon gar nicht Respekt und Empathie für Andersdenkende, Andersgläubige. Diese Werte existieren im Kosmos von Abu Osama nicht, nicht im Kosmos der Islamisten.

Im Film erzählt Abu Osama freimütig, dass er seine ältesten Söhne Osama (13) und Ayman (12) nach dem Gründer der Al Qaida und nach dessen Stellvertreter genannt hat, nach Osama Bin Laden und Ayman Zawahiri.

Abu Osamas Kinder sind Kinder des Kalifats. In ihrer hermetischen Welt studieren sie den Koran, verachten Mädchen und Frauen und lernen, Pistolen zu laden und zu schießen. Als ein Schulbus mit ihren Lehrerinnen davonfährt, verfluchen die Söhne die Frauen wie sie es von den Alten kennen. Die Brigaden Kämpfer gehen im Haus von Abu Osama ein und aus, machen ihre derben Späße auf Kosten der Kleinen. In der Gegenwart des Vaters droht ein Mann dem Kind Schläge mit dem Stromkabel an. Fuchtelt mit dem Messer in der Hand herum und signalisiert, ich kann Dir die Haut vom Leibe ziehen.

Talal Derki zeigt eine durch und durch verrohte Männergesellschaft, deren Opfer Frauen und Kinder sind. Die brutale Gewalt ist allgegenwärtig.

Of Fathers and Sons © BASIS BERLIN Filmproduktion

Im Laufe des Films konzentriert sich der Regisseur auf die ältesten Kinder Abu Osamas. Er filmt die Kinder beim Fußballspiel, beim Toben in einem Wasserbecken und kurz vor dem Schlafengehen. Im Bett liegend erzählen sie sich Geschichten. Der 13jährige Osama stellt seinen jüngeren Brüdern Rechenaufgaben, z.B. 4 Äpfel geteilt durch 10? 5 sagen die jüngeren Geschwister und Osama stimmt ihnen nach einem kurzen Zögern zu. Sie kennen die Antwort nicht, weil sie keine Schule mehr besuchen, nicht die elementarsten Dinge lernen dürfen. Die Kinder des Kalifats sind nur Rekrutierungsmasse in diesem erbarmungslosen Krieg.

Sie ahmen den Vater und die Erwachsenen nach und bauen auf der Straße eine Bombe. Füllen eine Wasserflasche mit roter Erde und Zitronensäure, kicken und springen solange auf die Flasche bis sie mit einem lauten Knall zerbirst.

Kurze Zeit später schickt Abu Osama seine Söhne Ayman und Osama in ein Al-Nusra Camp für Kinder. Ausgerüstet wie Soldaten trainieren sie den Kampf: den professionellen Umgang mit Waffen, Häuserkampf, Mauern überwinden, springen durch brennende Hindernisse. Die Kinder werden später nach Hause entlassen. Der Film deutet nur an, dass sie noch nicht reif für den Kriegseinsatz sind.

Kurze Zeit später wird ihr Vater bei dem Versuch, eine Landmine zu räumen, schwer verletzt, verliert seinen Fuß. „Es ist Gottes Wille“, so Abu Osama und scheucht die klagenden Frauen aus dem Haus. Sein Sohn Osama bleibt bei ihm, streichelt den Kopf, versucht den Vater zu trösten.

Trotz der Verletzung bleibt der Familienvater unbeirrt, seinem Hass, seiner Religion, seiner Ideologie treu. Er baut weiterhin Bomben, spürt Landminen auf und erzieht seine Kinder ganz im Geist der Dschihadisten. Osama soll ihm als Kämpfer folgen, erneut schickt er sein Kind ins Camp. Gehorsam und gefasst fügt sich der 13jährige dem Willen seines Vaters. Der Abschied von seinem jüngeren Bruder Ayman, der die Schule wieder besuchen darf, lässt den Zuschauer nicht kalt.

Talal Derki gelingt ein herausragendes Porträt einer Kriegsgesellschaft. Er bewertet nicht, er verdammt niemanden und dokumentiert eindringlich die Not aller. Tagelang wirkt dieser preisgekrönte Film noch bei mir nach. Die Bilder, die den verletzten, auch seelisch verletzten Familienvater zeigen. Ein Mann, der die Gefahren des Krieges kennt, unter den Schmerzen der Amputation leidet und dennoch bereit ist, seinen ältesten Sohn zu opfern wie einst Abraham im Alten Testament. Doch da schritt immerhin Gott ein. Wer aber hilft den Opfern des mittlerweile acht Jahre währenden Krieges?

https://www.tagesschau.de/ausland/unicef-syrien-kinder-101.html

https://aktion.savethechildren.de/safeschools/

Im Abspann des Films „Of Fathers and Sons – Kinder des Kalifats“ lässt Talal Derki seine Zuschauer wissen, dass Abu Osama 2018 beim Entschärfen einer Autobombe ums Leben kam. Und sein Sohn Osama? Das Kind mit dem Renaissancegesicht, dass in diese Welt nicht hineinzupassen scheint? Er müsste heute ein junger Mann von 18 Jahren sein. „Osama ist auf der Spur des Todes“, sagt der syrische Regisseur Talal Derki. Ob er noch lebt, weiß er nicht.

Osama at the camp © BASIS BERLIN Filmproduktion

Talal Derki lebt seit 2014 im Exil, hier in Berlin. Mit seinem Kameramann Kahtan Hossan hat er sich mittlerweile entzweit, da dieser tatsächlich Sympathien für die Salafisten hegt. Talal Derki hingegen benötigt heute für seine öffentlichen Auftritte Personenschutz.

https://www.youtube.com/watch?v=zaow0_e9loE

 

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