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AISHE ON THE ARTS

Der Berlin Blog von Aishe Malekshahi

Nur eine Frau

Nur eine Frau

Zitate:

„Bruder rastet vor Gericht aus“.

„Ihr elenden Hunde!“

Bruder beschimpft Frauen als “dreckige Feministen-Frösche“.

 

Wer möchte so einen Bruder haben, geschweige denn gleich mehrere davon? Ich nicht!

Unsere Gesellschaft

Hatun Sürücü hatte fünf Brüder, Deutsch-Türken. Drei davon geben sich als strenggläubige Muslime aus. Doch das einzige woran sie glauben, ist an ihre eigene enge, intolerante, frauenfeindliche Welt. Sie sind sunnitische Kurden, in Deutschland aufgewachsen und verachten unverhohlen unsere Welt. Unsere Freiheit: sich zu kleiden, wie man will; zu lieben, wen man will; zu arbeiten, was man möchte. Das kapieren diese Männer nicht und wir schauen zu? Schauen schweigend zu, wie sich diese Männer im Alltag verhalten. Diese Männer, die permanent von Respekt reden und uns Frauen nicht respektieren? R E S P E K T. Diese Männer, die permanent vom „Bruder“ reden“, sich so auf der Straße ansprechen, nur um ihre Verbundenheit untereinander zu demonstrieren. Und was ist mit uns Schwestern?

Nur eine Frau ­– Der Film

Frauen überqueren in Berlin-Kreuzberg die Straße. Es ist ein sonniger Tag, die Stadt wirkt hell, freundlich. Frauen mit Kopftuch, Frauen ohne Kopftuch. Frauen mit Migrationshintergrund, Frauen ohne Migrationshintergrund. (Ich kann diesen Begriff nicht leiden!) Aus dem Off ertönt eine Frauenstimme: „Sie könnte ich sein, oder Sie. Aber ne. Das bin ich.“

Schnitt: Eine weitere Straße in Berlin, die Oberlandstraße. Eine weiße Plane verdeckt den Körper von Hatun Sürücü. Sie wurde am 7. Februar 2005 mit drei Schüssen aus einer halbautomatischen Waffe von ihrem „Lieblingsbruder“ Ayhan – im Film heißt er Nuri– erschossen.

Die Stimme aus dem Off gehört der Schauspielerin Almila Bagriacik, die ebenfalls in Berlin aufwuchs, in der Nähe der Familie Sürücü und jetzt die Hauptrolle spielt. Ihre eindringliche, warme Stimme aus dem Off fährt fort und erzählt, dass sie der erste „Ehrenmord“ war, der so richtig „fett“ Presse bekommen hat. „Aber vielleicht war ich Euch schon damals egal.“

Nein, war sie nicht. Mir jedenfalls nicht. Als Tochter eines iranischen Vaters, der auch Muslim war, war ich schockiert über diese Tat, wie so viele Menschen in Berlin. Und noch immer schockiert mich der Ausgang der Gerichtsverfahren in Berlin und in Istanbul – aber das ist ein anderes Thema.

Der Regisseurin Sherry Hormann und ihr Drehbuchautor Florian Oeller setzen mit diesem direkten Einstieg einen Ton, den sie mühelos bis zum Filmende durchhalten. Jede Filmminute ist ein Erkenntnisgewinn. Sie zeigen, den Emanzipationsprozess einer jungen Frau. Einer Frau, die sich selbst den Namen „Aynur“ gibt und so von ihrer Familie und von den Freunden genannt wird. „Aynur – jemand, der so hell leuchtet wie der Mond“.

Dieses Leuchten hat auch Almila Bagriacik in jeder Szene inne. Der Film springt zurück in das Jahr 1998. Ein Frühlingstag. Aynur geht über die Oranienstraße, Kopftuch, Jeans, Kopfhörer und hört Hip Hop. Sie ist 15 und geht auf das Gymnasium. Doch die Eltern haben ganz andere Pläne, Aynur wird von der Schule abgemeldet und mit ihrem in Istanbul lebenden Cousin verheiratet. Aynur ist gehorsam, beugt sich dem Willen der Familie.

Der Film zeigt kein rauschendes Hochzeitsfest. Ganz im Gegenteil, wir sehen den Vater im leeren, bereits geschmückten Saal. Wir sehen die Brüder, sie tanzen einen kurdischen Tanz, bewegen sich ausgelassen im Kreis während ihre Schwester ins Brautkleid gezwängt wird. Die Mutter spricht ununterbrochen und eindringlich von Ehre und das ihre erstgeborene Tochter keine Schande über die Familie bringen darf. Sie muss ihrem Mann gehorchen und alles tun, was er möchte, so die Mutter und steckt ihr eine Rasierklinge zu, damit das Bettlaken in der Hochzeitsnacht mit Aynurs Blut befleckt wird als Beweis ihrer Jungfräulichkeit. Schnitt: Das Hochzeitsfoto zeigt den Ehemann, die Ehefrau vor einer Wand aus Rosen.

Immer wieder tauchen Fotos in diesem Film als stilistisches Mittel auf. Sherry Hormann sagt in einem Interview, dass sie schon früher mit Fotos arbeiten wollte. Doch sie war sich nicht sicher, ob sie es hinkriegt, emotionale Momente mit Hilfe der Fotografie wirklich gut einzufangen. Doch es gelingt, weil der Porträtfotograf Mathias Bothor mitarbeitet. Bilder schafft, von dem später Almila Bagriacik sagen wird:

„Während der Dreharbeiten sind zwei besondere Fotos von mir entstanden, auf denen ich mich nicht mehr wiedererkannt habe. Es war, als würde ich keine Spur mehr von mir selbst erkennen können, was sehr befremdlich war, aber auch interessant, weil ich mich noch nie so selbstverlassen fühlte, wenn ich mich auf den Bildern einer Rolle betrachtete“.

Almila Bagriacik beschreibt die Film- Dreharbeiten als sehr intensiv, und sie seien ein sehr gutes Team gewesen. Diese Intensität kenne sie nur aus der Theaterarbeit, weniger vom Film. Und in der Tat ist die Ensembleleistung beeindruckend stark. Hatun/Aynur Sürücüs Geschichte wird ohne Kitsch und Rührseligkeit erzählt.

An uns Zuschauer gerichtet sagt Aynur an einer Stelle im Film: „Stellt Euch vor, Eure Tochter trägt einen Schleier oder wird Nazi. () Meine Haare und ich sind der Terror“. Allein dieser Satz ist bedrückend schwer und gleichzeitig sieht man, wie sie sich vom Kopftuch befreit, behutsam und vorsichtig. Auch in diesen Momenten, Gesten steckt  viel von der Kraft, von der Energie Aynurs, endlich ein selbstbestimmtes freies Leben führen zu wollen.

Neben den Fotografien zitiert die Regisseurin Hormann Gerichtsakten und die Studie über „Ehrenmorde“ des Bundeskriminalamtes, die 2011 veröffentlicht wurde.

Wie Kapitelüberschriften werden die Motive gelistet: Ein freier Lebensstil, der Wunsch nach einem Beruf, das Ablegen des Kopftuchs – alles Regelverstöße gegenüber den patriarchalischen Strukturen der Familie und können den „Ehrenmord“ rechtfertigen. Und die gehorsame Tochter Aynur rebelliert: Zunächst gegen ihren türkischen Ehemann, der sie immer wieder schlägt, auch als sie schon schwanger ist. Sie verlässt Istanbul und zieht zurück in die elterliche Wohnung.

© Mathias Bothor

 

Doch die räumliche Enge erhöht die ohnehin schon vorhandenen Spannungen unter den Geschwistern. Als einer der Brüder sie noch sexuell belästigt, reicht es Aynur und sie sucht Hilfe bei einer Sozialarbeiterin. Sie kommt mit ihrem Sohn Can in einem Mutter-Kind-Heim unter, erhält später sogar eine eigene Wohnung. Diese junge Frau jobbt im Supermarkt, holt ihren Schulabschluss nach und beginnt eine Lehre als Elektro-Installateurin. Und immer wieder sucht sie den Kontakt zu ihrer Mutter, zu ihrer Familie. Nur ein Bruder warnt sie vor der Familie, bittet sie, zu ihm nach Köln zu ziehen. Dort lebt er, studiert Jura und hält sich ansonsten von der Familie fern. Doch Aynur glaubt, dass sie ihre Familie zurückgewinnen kann und trotzdem frei und ohne Kopftuch leben darf. Sie begreift nicht, in welcher Gefahr sie schwebt. Denn ihre Brüder planen bereits die Ehrenrettung der Familie, planen den Mord, obwohl sie die Eltern besucht, mit der Schwester und der Mutter im Park spazieren geht, ihnen großzügig den Enkel, den Neffen anvertraut.

Sie fühlt sich sicher, schlägt die Warnungen ihres deutschen Freundes aus. Man sieht die echte Aynur in einer Videoaufnahme auf einem Dach, es ist pure Lebensfreude, das große Glück für sie. Doch irgendwann erträgt auch dieser Mann die permanenten Drohungen nicht mehr und verlässt sie.

Wie sie es trotzdem schafft, dank der Sozialarbeiter, dank ihres Ausbilders, auch er ein Kurde, aber tolerant, aufgeschlossen und vor allem, für sie da. Kurz vor ihrem 23. Geburtstag, sagt sie aus dem Off, sie wird Berlin verlassen. Nach Freiburg ziehen und dort eine Stelle als Elektro-Installateurin antreten. Doch diese Entscheidung wird Aynur nicht mehr umsetzen können.

Der Film endet nicht mit dem Mord. Der Film geht weiter, zeigt wie die Familie zusammenhält, obwohl die Tochter von dem eigenen Sohn hingerichtet wurde. Man kann es nicht fassen, dass eine Mutter, ein Vater so eine Entscheidung treffen und mittragen. Ganz im Gegenteil, der jüngste Sohn erhält für seine Tat vom Vater eine goldene Uhr, die er später stolz im Gerichtssaal zeigen wird. Das Gericht hat Nuri/ Ayhan zu neun Jahren und drei Monate verurteilt. Reue hat der echte Bruder nie gezeigt. Deshalb ist dieser Film so wichtig. Er setzt ein Denkmal für eine starke, junge, verantwortungsvolle Frau, die einfach nur ihren Weg gehen wollte. Ich hoffe, dass dieser Film in Schulen gezeigt und diskutiert wird.

Heute erinnert in Berlin ein Gedenkstein an Hatun Sürücü. Auf diesem Stein ist zu lesen: „Hier wurde Hatun Sürücü am 7. Februar 2005 ermordet, weil sie sich Zwang und Unterdrückung ihrer Familie nicht unterwarf, sondern ein selbstbestimmtes Leben führte. Zum Gedenken an sie und die weiteren Opfer von Gewalt gegen Frauen in dieser Stadt“. Das war 2008.

Es gelingt der Familie nicht, das Sorgenrecht für Aynurs Sohn Can zu bekommen.

Die drei Brüder leben jetzt in der Türkei.

Rückblick:

Mai 2017 – Die beiden mitangeklagten Brüder werden aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Februar 2018 – Aufgrund einer Beschwerde des türkischen Familienministeriums entscheidet ein Berufungsgericht, den Prozess gegen sie wieder zu eröffnen.

 

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