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AISHE ON THE ARTS

Der Berlin Blog von Aishe Malekshahi

Haus am Waldsee zeigt ONE TO FREE

Haus am Waldsee zeigt ONE TO FREE

© Ammar al-Beik, Boya, Boya, Boya. Untitled, Archivdruck auf Baumwollpapier, 2013

© Ammar al-Beik, Berlin 2015, Foto: Patricia Ciordia

Ammar al-Beik: Filmemacher und Pionier der syrischen Videokunst

Womit fange ich an? Vielleicht damit, wie ich ihn kennenlernte? Ammar al-Beik traf ich vor vier Jahren im Flüchtlingsheim. Das Heim bestand aus Containern, lag in einem Industriegebiet und über dem Eingang stand „Welcome“.

© Haus am Waldsee, 2019  Foto: Harry Schnitger

Oder mit dem Haus am Waldsee an? Ein kleiner, feiner Hotspot für internationale Gegenwartskunst. Ein Lieblingsort von mir, hier habe ich Hochzeit gefeiert. Die frühere Fabrikanten-Villa liegt idyllisch an einem Waldsee, ganz in der Nähe des Schlachtensees. Einen größeren Kontrast zwischen zwei Orten kann es gar nicht geben.

Beginnen wir mit dem ersten Wohnort für Ammar al-Beik in Berlin, dem Flüchtlingsheim. Damals fand das Interview in seinem Zimmer statt, der Mitbewohner war im Sprachkurs und wir tranken erst Mal Tee. Der Anlass? 2015 zeigte die Berlinale 2015 seinen Dokumentarfilm „La Dolce Siria“. Mit ihm darüber ins Gespräch zu kommen war einfach. Ammar ist ein unglaublich herzlicher, höflicher und offener Mensch. Seit dieser Begegnung treffen wir uns ab und an. Letzte Woche kam seine Mail, er stelle im Haus am Waldsee aus.

Die Initiative ging von Katja Blomberg aus. Die künstlerische Leiterin des Hauses hatte Ammar al-Beik 2016 „entdeckt“, auf der „Rohkunstbau“ im Schloss Roskow, „Between the worlds“ hieß die Ausstellung. Zwischen den Welten zu leben, zu arbeiten, zu sein, ist ein Lebensgefühl, das Ammar nicht fremd ist.

1972 in Damaskus geboren, arbeitet er in den 1990er Jahren zunächst als Fotograf in einem Atelier, dann beginnt er Filme zu drehen.

Die Ausstellung „ONE TO FREE“ zeigt ganz frühe Werke und aktuelle Arbeiten: Installationen, Ölgemälde, Fotografie, Videoarbeiten.

Doch wofür steht „ONE TO FREE“? Sind einfach nur zwei Wörter weggelassen worden: One (step) to (be) free? Braucht es nur einen Schritt und Dein Leben steht auf den Kopf? Einen Schritt, um frei zu sein? Und was bedeutet frei sein, wenn man nicht in seiner Heimat leben darf? Wie im Fall von Ammar al-Beik. Ihm wird 2011 ein kritisches Interview zu Syrien, zu den friedlichen Protesten Zivilbevölkerung zum Verhängnis. Er geht ins Exil, zunächst nach Beirut, dann zieht er mit seiner Frau Myriam und Tochter Sofia weiter nach Dubai. Ende 2014 kommt er allein nach Berlin.

In den vergangenen fünf Jahren ist Ammar al-Beik viel gereist, war mit seinen Filmen auf zahlreichen Festivals vertreten und erhielt internationale Auszeichnungen.

Katja Blomberg hat „ONE TO FREE“ als „Übersichtsausstellung“ konzipiert. Die früheren Arbeiten bewegen sich zwischen Dokumentation und Essay. In seinem Kurzfilm „Light Harvest“ spürt Ammar al-Beik einen Ort seiner Kindheit auf: Eine Wassermühle, in der Nähe des elterlichen Hauses in Damaskus. In poetischen schwarz-weiß Aufnahmen zeigt er Arbeiter, die schwere Getreidesäcke von einem LKW abladen und sieben. Die Lagerhalle versinkt im Staub. Al-Beiks Kamera zeigt den Raum, die Menschen, die Gerätschaften. Erschöpfte, ruhende Arbeiter. In „They were here“ bewegt er sich auf einem verlassenen Bahnhof und gibt drei alten Arbeitern eine Stimme, die noch die Dampfloks und Waggons warten. Jahrzehntelang haben sie hier gearbeitet. Sie hören bald auf, erzählen sie und berichten von ihren erfolgreichen Kindern, von ihrer Sorge, dass die Rente nicht ausreichen wird. „We want eggs, milk, soap and detergent“ ist an einer Wand zu gesprüht. Schon früh zeichnet die Kamera von Ammar al-Beik – wie ein Seismograph – Stimmungen, Befindlichkeiten in der syrischen Gesellschaft auf.

In seinen späteren Filmen positioniert sich Ammar al-Beik noch stärker als politischer Beobachter der syrischen Katastrophe, nutzt hierfür immer wieder das Prinzip der Collage, wie z. B. in „La dolce Siria“. Al-Beik verarbeitet Youtube-Ausschnitte von lachenden Soldaten im Hubschrauber, die ihre Bomben über Aleppo abwerfen – mit zwei kleinen Jungen, die gerade mit seiner Kamera spielen. Er kombiniert historische Fernsehaufnahmen von Hafis al-Assad mit aktuellen Kriegsbildern, setzt eine Dokumentation über Federico Fellinis Film „La dolce Vita“ in Verbindung mit seinem Zirkusbesuch. Und ausgerechnet bei diesem Besuch wird der Dompteur von einem Löwen angegriffen. Fiktion, Realität? Assad heißt übrigens übersetzt, der Löwe.

Ammar al-Beik ist ein Geschichtenerzähler, Spurensucher und visueller Sammler. Sein Film über den in Syrien verschwundenen italienischen Jesuitenmönch und Islamwissenschaftler Paolo Dall’Oglio ist ein wichtiges Dokument. Dall’Oglio hat sich zeitlebens für ein tolerantes Miteinander von Muslimen und Christen engagiert, 2013 trifft er den IS und ist seitdem verschollen. Jetzt ist Al-Beiks Film ein berührendes Dokument der Zeitgeschichte.

© Ammar al-Beik mit Abou Hani, Boya, Boya, Boya.

Noch in Syrien lernt Ammar al-Beik den Schuhputzer Abou Hani kennen. Ein alter, zerbrechlich wirkender Mann. „Als ich ihn umarmte“, sagt Ammar in der Ausstellung zu mir, „spürte ich, wie dünn er war, dass er Hunger litt“. Ammar kauft ihm später das Schuhputz-Equipment ab und verspricht ihm, dass er Schuhbürste, Pflegecremes, das Bänkchen im Rahmen einer Kunstausstellung zeigen wird. Ammar hat Wort gehalten. Jetzt sind die Objekte als Installation „Boya, Boya, Boya“ zu sehen mit einer kleinen Entfremdung, die sich in den großformatigen Fotografien zeigt. Auf einer Schuhcremedose ist ein Löwe zu sehen und Ammar hat ein Datum dazugesetzt, den 22. Februar 1971. Das Jahr an dem Hafis al-Assad die Macht im Land übernahm.

© Ammar al-Beik, Boya, Boya, Boya. Untitled, Archivdruck auf Baumwollpapier, 2013

Ammar al-Beik ist ein emphatischer Analyst der Gegenwart. Inspiriert nicht nur von seiner Alltagsituation ob in Syrien, im Libanon oder jetzt in Berlin. Wie ein roter Faden finden sich immer wieder Hinweise auf den amerikanischen Konzeptkünstler John Baldessari. Im Film „The Sun’s Incubator“ liegt ein schwerer Kunstband über Baldessari unter dem Fernseher. In der jetzigen Ausstellung ist genau dieser Band als Objekt in einer weiteren Installation zu finden.

In einer Mail zitiert Ammar al-Beik sein Vorbild John Baldessari:

„Look at the subject as if you have never seen it before. Examine it from every side. Draw its outline with your eyes or in the air with your hands, and saturate yourself with it.“

Ammar al-Beik vor seiner Bildcollage „Ich bin hier, hier bin ich“. © Aishe Malekshahi

Mit diesem Satz im Hinterkopf schau ich auf das großformatige Ölbild von Ammar. Ein Stimmungsbild, das sogar im Haus am Waldsee entstand. Bevor das Haus umfangreich saniert wurde, überließ Katja Blomberg dem Künstler für zwei Wochen die leeren Räume. In dieser Zeit entstand „Ich bin hier – hier bin ich“. Ein Bilder- und Zitatreigen ganz im Sinne von John Baldessari.

Von der Rewe-Einkaufstüte, über Martin Kippenbergers „Lieber Maler male mir“, kleinen Boote aus Legosteinen bis hin zum Berliner Bären – demonstriert dieses Bild, der Künstler Ammar al-Beik ist in Berlin angekommen. Auch wenn er selbst von sich sagt, ich bin ein „X-Künstler, X-Fußballer und ein auf eigener Faust arbeitender Filmemacher.“

Die Ausstellung „ONE TO FREE“ ist bis zum 5. Mai 2019 im Haus am Waldsee zu sehen.

Im Rahmen dieser Ausstellung finden zwei interessante Veranstaltungen noch im März statt:

Am 21. 3. Spricht Ammar al-Beik mit der Musikerin Lamis Marianne Sires und mit Katja Blomberg über sein Werk.

Am 28. 3. lädt das Haus am Waldsee zu einem Essen mit dem Künstler ein, 45 Euro kostet das Menü. Anmeldung bitte bis zum 21. 3. unter: kuenstleressen@hausamwaldsee.de

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