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AISHE ON THE ARTS

Der Berlin Blog von Aishe Malekshahi

Anja Niedringhaus – Bilderkriegerin

Anja Niedringhaus – Bilderkriegerin

Das Kölner Käthe Kollwitz Museum würdigt die Fotografin anlässlich ihres 5. Todestags.

 

© Wolfgang Eilmes
2004

„Nonstop-Bilder (Fernsehen, Video, Kino) prägen unsere Umwelt, aber wo es um das Erinnern geht, hinterlassen Fotografien eine tiefere Wirkung“.

Susan Sontag in ihrem Werk „Das Leiden anderer betrachten“.

Erste Begegnungen

„Ich guck mir auch nicht gerne Leichen an. Und dann hat der einen Schuss in den Kopf bekommen, der halbe Kopf war weggeblasen. Dann war da noch eine andere schlimme Szene in Falludja, dass war wie inszeniert. Eine Frauenleiche, eine westliche Frauenleiche () die mitten auf der Straße lag. Es waren offiziell zwei westliche Frauen verschwunden: Die Polin und Margaret Hussein. Ich habe sie sofort an ihrer Haarfarbe erkannt. Mit´ m Schuss im Kopf.“

Anja Niedringhaus begegnete ich 2004 zum ersten Mal. Ich arbeitete damals an dem Hörfunk-Feature „Der distanzierte Blick. Fotografen im Krieg,“ eine Produktion für den WDR. Meine Leitfrage war, wie gehen Kriegsfotografen damit um, so nah am Sterben, am Tod zu sein?

„Ich habe dann auch fotografiert. Auf eine Weise, die war ja schon tot – da lauf ich dann nicht mehr weg. Man versucht es noch, nicht ganz so hart darzustellen. Was mich nur richtig schockiert hat, da hab ich gesehen, dass sich im Irak alles verändert hat – das man das mit der Frau gemacht hat.“

Anja Niedringhaus ist im Dezember 2004 dabei als die US-Marines Falludja einnehmen. Die Fotografin führt das AP-Büro in Bagdad. Sie dokumentiert den Kampf um die Macht im Irak für die amerikanische Presseagentur Associated Press. Seit dem Krieg der Amerikaner sind die Arbeitsbedingungen härter geworden, erzählt die Fotografin und dennoch sagt sie, Bagdad – das Hotel Palestine – ist zu ihrer zweiten Heimat geworden.

„Da fühl ich mich richtig wohl. Wir haben da das Fernsehen, dann die Textredaktion, wir haben da eine Etage in dem Hotel gemietet, wo wir auch schlafen. Was mich manchmal richtig verrückt macht ist“, sagt Anja Niedringhaus im Interview „war, als die Ausgangssperre verhängt wurde und ich mich eingesperrt fühlte. Ich bewegte mich nur noch auf dem 7. Stockwerk: von meinem Zimmer zum anderen Hotelzimmer, das die Photoredaktion ist. Und da hab ich gesagt, ich stürz’ mich irgendwann von diesem blöden Balkon hinunter, ich dreh hier ab. Die wissen das. Deswegen habe ich das embedded mitgemacht. Ich kann´ s nicht, ich kann nicht zwei Monate eingeschlossen sein.“

© Anja Niedringhaus,
Irak 2004

Embedded – auf der Seite der Armee der westlichen Alliierten stehen, auf Seiten der Amerikaner und Engländer. Embedded bedeutet auch, die Vorbereitung für den Ernstfall im Militärlager zu absolvieren und unter amerikanischer Kontrolle zu arbeiten. Anja Niedringhaus wählt die Marines. Die machen die Drecksarbeit oder diplomatischer: sie leisten die Vorarbeit für die Armee. Sie sind immer zuerst da. Und wer zuerst da ist …. hat die besseren Bilder. Anja Niedringhaus:

„Und ich war froh, nicht mit der Armee, weil ich wusste, dann bin ich viel zu spät. Wenn ich das schon alles riskiere, dann möchte ich es riskieren für einen Punkt, wo ich auch dabei bin.“

Anja Niedringhaus fotografiert einen Marine mit Maschinengewehr. Die Augen aufgerissen. Neben ihm ein weiterer Soldat. Die Anspannung ist ihnen anzusehen. Hinter ihnen – vor einer Betonwand –zwei Irakerinnen mit Kindern.

„All die jungen Photographen,

die durch die Welt hasten, weil sie sich dem Aktualitätenfang verschrieben haben, wissen nicht,

dass sie Agenten des TODES sind.

Auf diese Weise begegnet unsere Zeit dem TOD: unter dem leugnenden Alibi des überschäumend Lebendigen, und der Photograph betreibt es gewissermaßen als Beruf.“

Schreibt der französische Philosoph Roland Barthes in seinem Buch: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie.

9/11 ist fast drei Jahre her, in Afghanistan und im Irak wird gekämpft. Die Zeitungen füllen sich jeden Tag mit Gräuelbildern, mit den menschenverachtenden Fotografien aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghreib, mit Bildern von aktuellen Kriegsschauplätzen.

In dieser Zeit führte ich Interviews mit Kollegen von Anja Niedringhaus. Gespräche mit den berühmten Magnum-Fotografen Abbas und Gilles Peress, lernte die deutsche Fotografin Ursula Meissner kennen, die gerade aus Afghanistan zurückgekehrt war. Auch Anja Niedringhaus nahm ich zunächst nur über ihre Bilder wahr. Sie fotografiert den grinsenden amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der ein großes, silbernes Tablett vor sich trägt und darauf liegt ein gut durchgebratener Truthahn. Thanksgiving-Day 2003 in Bagdad, der Präsident überrascht die Soldaten mit seinem Besuch.

Anja Niedrinhaus ist mit ihrer Kamera immer nah dran: Bei Hausdurchsuchungen, fängt verängstigte Blicke ein, sieht und spürt die Anspannungen. Auf Seiten der Marines, auf Seiten der Irakis. Die Anspannung kriecht fast aus ihren Bildern und trotzdem behält sie den Überblick und den Blick für kleine Details. Bei einer Patrouille durch ein zerstörtes Wohnviertel bewegt sich Anja Niedringhaus dicht hinter einem Marine. Aus seinem Rucksack schaut eine Barbie bzw. Ken–Figur im Soldaten-Outfit hervor, „GI-Joe. Das Maskottchen der Marines. Sie fotografiert die Marines wieder am Stützpunkt. Sie fotografiert sie, wenn sie um ihre getöteten Kameraden trauern. Zeigt die Trauernden kniend vor den ausgestellten Stiefeln, Waffen und Helmen der toten Soldaten.

© Anja Niedringhaus
Irak 2004

2005 erhielt Anja Niedringhaus für ihre engagierten Aufnahmen aus dem Irak-Krieg den Pulitzer Preis. Sie ist die erste Fotografin, die diesen Preis bekam und die Auszeichnung, die kleine Skulptur ist jetzt in dieser Ausstellung „Bilderkriegerin“ zu sehen.

Kuratiert wurde die Retrospektive von Sonya Winterberg. In Köln werden über 90 großformatige Bilder gezeigt, darunter auch Originalabzüge aus dem Archiv von Anja Niedringhaus. Sonya Winterberg präsentiert Fotografien aus Bosnien, Irak und Afghanistan, alle in Farbe und nur minimal bearbeitet.

„Die Bemühungen derer, die in Kriegsgebieten Augenzeugen sein wollen, werden inzwischen so häufig als „Kriegstourismus“ verspottet, dass davon auch die Diskussion über die Kriegsfotografie als Beruf nicht unberührt geblieben ist“  hält Susan Sontag fest.

© Anja Niedringhaus
Irak 2003

„Anja, das deutsche Mädchen aus der Provinz…“

2003 erzählt Anja Niedringhaus, dass sie sich schon mit 12 Jahren für die Fotografie interessierte. Der Nachbar war Leiter der Tageszeitung und Niedringhaus durfte ihn am Sonntag in die Redaktion begleiten, ihm sogar beim Entwickeln der Bilder assistieren. Später stottert sie die Raten für ihre erste Kamera ab und mit 17 schreibt sie bereits für die Lokalredaktion in Höxter. Mit 24 Jahren ist sie Kriegsreporterin auf dem Balkan.

Eine frühe Fotografie aus den 1990er Jahren zeigt Anja Niedringhaus auf den Straßen von Sarajewo. In der rechten Hand mit Zigarettenspitze und einem Revolver im Hosenbund. Ihr linker Arm ruht auf der Schulter ihres Begleiters, sie schaut nach oben, beobachtet etwas. Es wirkt unglaublich draufgängerisch. Sie, die den Krieg zuvor nicht kannte setzt sich unter ihren Kollegen als Fotografin durch. Sie gerät in Gefahr, gerät unter Granatenbeschuss, hört noch rechtzeitig auf Kollegen, die sie vor einer Landmine warnen. Ein andermal spricht ein Scharfschütze Anja Niedringhaus an einem Checkpoint an. Sie trägt eine Fuji Weste und die Sniper nennen sie „Fuji Mädchen“. Dieser Mann sagt ihr: „Gestern hatte ich dich im Visier, aber dann habe ich entschieden, dich doch etwas leben zu lassen.“ Eine Episode an die die Mutter Heide Ute Niedringhaus erinnert.

Das Leben auf dem Land

10 Jahre nach dieser Episode besuche ich – 2003 – Anja Niedringhaus auf dem Bauernhof ihrer Schwester Gide. „Gide, findet meinen Beruf eigentlich krank“ sagt Anja Niedringhaus und lacht. „Kein Wunder“, so Niedringhaus weiter, „denn nach dem Einsatz in Sarajewo konnte ich zu Hause nicht über Felder laufen, weil ich mich immer noch vor Landminen fürchtete.“

Alle paar Monate kehrt sie nach Hessen, auf den Bauernhof zurück. Anja Niedringhaus braucht dieses andere Leben, um sich vom Kriegsalltag zu regenerieren, um Kraft zu gewinnen für den nächsten Einsatz.

„Ich bin viel mehr am Leben der Leute vor Ort interessiert als an der Ballerei“

Eine besondere Liebe pflegt Anja Niedringhaus zu Afghanistan. Sie fliegt immer wieder dorthin, berichtet von Fronten, vom Alltag der Truppen und vom Alltag der Afghanen. Menschen, so sagt sie, die sie „verwundern“. Menschen, die ihr Schutz anbieten, bei denen sie wohnen darf, obwohl sie die Deutsche mit den grauen, halblangen Haaren gar nicht kennen. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hebt Anja Niedringhaus die Gastfreundschaft der Afghanen hervor und betont, „Das überwältigt mich jedes Mal. Kriegsfotografin zu sein ist für mich mehr, als mich sieben Monate im Jahr von Schützengraben zu Schützengraben zu wälzen.“

Anja Niedringhaus fotografiert auf den Straßen von Kandahar bettelnde Frauen. Sie trägt selbst eine Burka, fotografiert durch ihr Gitterfenster andere Frauen in ihren blauen Gewändern. Sie porträtiert einen Taliban Kämpfer in Kabul vor einer hellen Wand, der sein Gesicht gerade mit seinem Tuch verhüllt. Sie besucht Feste zum Ende des Ramadans und hält mit ihrer Kamera den ausgelassenen Moment eines Jungen auf dem Karussell fest. In seiner Hand hält er eine Spielzeugwaffe. Der Krieg ist immer präsent.

April 2014 ist Anja Niedringhaus wieder in Afghanistan. Ihr Auftrag, sie soll die Präsidentschaftswahlen in Afghanistan beobachten. Mit ihrer Kollegin und Freundin Kathy Gannon ist sie in der Provinz Chost unterwegs, die beiden möchten Afghanen treffen und sich mit ihnen über ihre Hoffnungen austauschen. Gerade einen Tag zuvor, veröffentlichte die International New York Times ein Foto von Anja Niedringhaus auf ihrer Titelseite: Ein Wahlkampf-Porträt des amtierenden Präsidenten Hamid Karzai vor endlosem Himmel. Auch ihre letzten drei Bilder aus Afghanistan sind in dieser Ausstellung zu sehen. Sie zeigen an einem Stützpunkt der Sicherheitskräfte lachende afghanische Soldaten und Polizisten in Gesprächen, einer betrachtet sich in einem kleinen Handspiegel auf dessen Rückseite eine unverschleierte Frau vor einem Meer zu sehen ist. Nichts deutet auf eine Gefahr hin. Anja Niedringhaus und Kathy Gannon wollen weiterfahren, nehmen auf der Rückbank ihres Autos Platz als ein Polizist auf sie losstürmt und auf sie schießt. Beide Frauen werden schwer verletzt. Anja Niedringhaus stirbt am 4. April an diesen Schussverletzungen. Kathy Gannon hat überlebt.

Die Reporterin ist auch in Köln und hat sich die Ausstellung „Bilderkriegerin“ dort angesehen. Wir kommen ins Gespräch und ich möchte von ihr wissen, was der Grund für dieses Attentat war. Der afghanische Polizist, so Kathy Gannon, hat in seiner Familie selbst die Gewalt des Krieges erfahren und wollte Rache. Das war sein Motiv. Kathy Gannon sagt auch, dass dieser Attentäter hingerichtet werden sollte, doch die Familie von Anja Niedringhaus und sie haben für die Umwandlung der Todes- in eine Haftstrafe plädiert und dem wurde nachgegeben.

Mit Anja Niedringhaus Tod ist eine wunderbare, sensible Chronistin verloren gegangen.

„Anja, das Mädchen aus der deutschen Provinz hat eine Dauerkarte in der ersten Reihe bei allen großen Ereignissen ihrer Zeit gehabt.“ Santiago Lyon, Niedringhaus’ Chef bei AP.

 

© Anja Niedringhaus
Irak 2005

Die Ausstellung „Anja Niedringhaus – Bilderkriegerin“ ist bis zum 30. Juni in Köln, im Käthe Kollwitz Museum zu sehen.

Sehr zu empfehlen ist der Katalog zur Ausstellung.

Anja Niedringhaus – Bilderkriegerin
Hg. von Hannelore Fischer für das Käthe Kollwitz Museum Köln

Mit Beiträgen v. Sonya und Yury Winterberg, Minka Nijhuis, Michael Kamber, u.a.
144 Seiten, 111 farbige Abb.,
Wienand Verlag, Köln 2019

Preis: 22,00 €

 

 

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